Tennissaiten und Bespannungen
Heute wollen wir mal kurz das Thema Tennissaiten anreißen und über ein paar Dinge sprechen, die für Vereinsspieler und Neueinsteiger interessant sein könnten. Wir haben uns dazu mit Kurt Hellermann vom Tennisshop K Sports in Essen getroffen. Kurt hat das Besaiten 1983 bei Babolat gelernt und hat im Laufe seiner professionellen Bespannerkarriere unter anderem für Jimmy Connors und Stefan Edberg Rackets mit den unterschiedlichsten Saiten bespannt. Seit 2021 ist er jetzt selbstständig mit dem Tennisshop direkt am TVN-Leistungszentrum und bringt seine 40-jährige Erfahrung mit in den Bezirk 5. Im Shop bekommt ihr eine detaillierte Beratung zu eurem Schläger, der Besaitung und natürlich auch das passende Zubehör.
Der neue Schläger wird in die Maschine eingespannt // Eine neue Bespannung sollte vor dem ersten Ball 60min ruhen.
Beginnen wollen wir, wie in unserem letzten Post erstmal ganz allgemein und uns zunächst mal freie Sicht auf den vernebelten Markt verschaffen. Genau wie bei den Schlägern scheint der Markt hier ja wieder endlos und nicht fassbar. Jedoch verhält er sich auch genau wie der Schlägermarkt und wir bekommen grundsätzlich bei jedem Hersteller ein sehr ähnliches Angebot. So wie es beim Discounter an der Ecke die gleichen Produkte gibt, wie beim Aldi im Dorf, so gibt es auch bei Hersteller X dieselben Saiten, wie bei Hersteller Y.
Wir wollen heute nicht bis ins kleinste Detail darüber aufklären wie Saiten zusammengesetzt sind wo der Kunststoff herkommt (“Leverkusen”) der die Saiten zum Beispiel härter oder weicher macht. Es betrifft den Durchschnittsvereinsspieler relativ wenig, ob er eine Monofilament, Multifilament, Polyester oder Co-Polyester Saite spielt. Naturdarm mal ausgeschlossen, weil niemand (NIEMAND!) spielt das noch oder könnte das bezahlen. Selbst auf der Pro-Tour ist das Naturdarm-Phänomen fast ausgestorben. Das sind natürlich auch für uns gute Nachrichten, denn die modernen Saiten scheinen so gut zu sein, dass selbst die Profis ohne Abstriche dazu greifen. Ein Nadal und Wawrinka spielen z.B schon seit fast 20 Jahren nun die künstliche Babolat RPM Blast und das auch sehr erfolgreich.
Aber erstmal zurück zur Übersicht:
Es gibt also bei allen Herstellern das gleiche Angebot. Wo sind die Unterschiede? Unterteilt wird ähnlich wie bei Schlägern in Kontrolle, Power, Spin und Touch. In diesen Kategorien gibt es dann noch einmal Sub-Kategorien oder Schnittmengen. Beispielsweise gibt es dann eine Saite aus der Kategorie Kontrolle mit mehr oder weniger Touch. Sie wird dann weicher, um den Ball länger im Schläger zu halten und dem Spieler ein besseres Gefühl im Kontaktpunkt zu geben. Genauso gibt es Power-Saiten, die mit mehr oder weniger Spin daherkommen. Heutzutage gibt es da eine ganze Reihe an Innovationen und Möglichkeiten. Um die Ballumdrehungen zu erhöhen werden Saiten angeeckt in z.B 3-, 4-, 5-, 6- oder 8-eckig. Außerdem gibt es auch Saiten, die in sich selbst verdreht werden, um noch mehr Spin zu erzeugen. Auch diese gibt es eckig (z.B Signum Pro Tornado). Die Technologie schenkt uns hier eine riesige Auswahl an Möglichkeiten und auch deswegen hat die moderne Kunstoffsaite die alte Naturdarm-Saite abgelöst. Es gibt übrigens mittlerweile auch Kunstsaiten, die sich nahezu identisch zu den Naturbespannungen spielen lassen.
Grundsätzlich muss man auch sagen, dass es de facto keine “schlechten” Saiten gibt. Egal, ob Polyester, Co-Polyester oder Aramid. Egal, ob Dunlop, Tecnifibre, Völkl oder Wilson. Es gibt hier, wie auch bei den Schlägern, keine optimale allgemeine Lösung für Herren, Damen, Turnierspieler oder Senioren. Ich muss wieder in mich gehen und mich fragen, was ich möchte und wie ich eigentlich spiele. Was für den einen wunderbar funktioniert ist oft für den anderen absoluter Horror. Und das selbst manchmal, wenn das identische Racket gespielt wird. Teilweise sogar mit derselben Saite, aber in einer anderen Stärke (Durchmesser) oder Besaitungshärte. Die meisten Saiten gibt es nämlich von Haus aus in verschiedenen Durchmessern. Dazu später mehr. Auch die Besaitungshärte ist sehr unterschiedlich. Selbst auf der ATP-Tour gibt es Spieler mit 18kg (Jack Sock) oder 28kg (Wawrinka). Je nach Bodenbelag, Temperatur und Luftdruck wird aber meistens täglich bespannt und angepasst. Auch hier müssen wir uns wieder die Frage stellen: Wer bin ich? Wie spiele ich? Habe ich Kontrolle? Habe ich zu viel oder wenig Spin oder Touch?
Es gibt ein paar Guidelines an denen man sich orientieren kann: eine weichere Bespannung hat generell etwas mehr Touch, Power und Spin, da der Ball länger und tiefer in das Saitenbett eintaucht. Außerdem wird etwas mehr Vibration von der Saite absorbiert und es wird somit armschonender. Zu weich bespannte Schläger wirken allerdings wie ein Trampolin und die Bälle scheinen unkontrolliert in die Zuschauermengen zu segeln. Je härter ich bespanne, desto mehr Kontrolle habe ich. Die Bälle werden kürzer und haben etwas weniger Spin. Hier gilt dann aber auch darauf zu achten, welche Saite gespielt wird. Denn es gibt ja auch harte und weiche (elastische), dicke und dünne, glatte und raue (eckige) Saiten. Eine dünne Saite bietet dem Spieler generell mehr Spin und Power, dafür sind dickere Saiten viel haltbarer. Der gängige Standard bei Saitendurchmessern ist heutzutage 1.14mm - 1.35mm. Durch modernstes Ingenieurswesen sind selbst dünne Saiten heute problemlos spielbar ohne jede Woche bespannen zu müssen.
Um die Verwirrung komplett zu machen sei noch gesagt, dass auch verschiedene Schläger und Saitenbilder unterschiedlich bespannt werden sollten. Wenn mein Schläger von Natur aus viel Power und ein offenes Saitenbild hat (z.b. Head Instinct / 16x19), bespanne ich hier eher etwas härter, um Kontrolle zurückzugewinnen. Spiele ich einen 95er Kopf mit einem 18x20er Saitenbild besaite ich eher weicher, um Power zu generieren. Übrigens generell bei engerem Saitenbild 1-2kg runtergehen.
Ich persönlich spiele eine sogenannte Hybrid-Bespannung. Klingt futuristisch und nach Innovation, beschreibt aber lediglich, dass man zwei unterschiedliche Saiten aufzieht. Eine Saite längst und eine andere Saite quer. Da nur die Längstsaite Einfluss auf den Topspin hat, kann man z.B hier eine spinfreundliche Saite aufspannen und quer nimmt man eine weichere, glattere Saite für Power oder Touch. Solche Set-Ups gibt es mittlerweile auch schon fertig zu kaufen, wie z.B das Head Gravity Hybrid Set.
Saiten gibt es in allen Formen und Farben // Wichtig ist eine Balance zwischen Spieler, Schläger und Saite.
Das alles sind natürlich grobe Anhaltspunkte und nur die technologische Seite des ganzen. Genauso wichtig ist doch die Frage nach meinem Schwung, meiner Beinarbeit, meinem Touch? Nagel ich meinen Gegner mit schnurgraden Hammerschlägen an den Zaun? Dann brauche ich kein Top-Spin Racket mit einer angeeckten Co-Polyester Saite. Male ich meinem Gegner Pinselstriche auf den Platz, wie ein Federer? Dann suche ich wohl nach Gefühl und einer Kontrollsaite. Reiße ich mit einem Western-Vorhandgriff bei jedem Schlag den Schläger über den Ball um 4000 Ballumdrehungen zu erzeugen? Dann hilft mir hier sicherlich ein offenes Saitenbild eines Spin-Rackets und die dazu passende Saite in der optimalen Bespannungshärte. Hier gilt es unbedingt die Balance zwischen all diesen Dingen zu finden und das individuell beste Gesamt-Setup für sich selbst. Jeder Spieler ist anders. Jeder Spieler verändert sich. Nicht jede Saite funktioniert auf jedem Schläger. Nicht jede Bespannungshärte funktioniert bei jedem Saitenbild. Auf einmal fühlt sich mein Schläger an wie ein Waschbrett oder eine Gummipalme.
Über 90 Saiten zur Anprobe bereit.
Also bitte ausprobieren und sich beim Profi beraten lassen. Bei Kurt bekommt ihr über 90 verschiedene Saiten und immer eine ausführliche, professionelle Beratung. Übrigens empfiehlt der Profi mindestens vor der Sommersaion und Hallensaison zu bespannen. Für Vielspieler gilt so oft im Jahr zu bespannen, wie man in der Woche Tennis spielt. Also sehr oft. Wenn Schläger nicht gespielt werden leiden die Saiten übrigens besonders. “Wie ein Auto, das 1 Jahr steht, braucht auch der Schläger nach langen Standzeiten einen Ölwechsel”. Im Frühjahr und Herbst wird etwas weicher bespannt und im heißen Sommer können wir 2kg härter bespannen, da Temperatur, Feuchtigkeit und Luftdruck immensen Einfluss auf Bälle und Saiten haben.
In diesem Sinne wollen wir das Thema erstmal so stehen lassen. Bei Fragen könnt ihr euch gerne melden oder ihr lasst euch direkt im Tennisshop K Sports beraten.
Wie bespannt ihr? Wie sind eure Erfahrungen mit Saiten und Bespannungen? Schreibt uns mal euer Set-Up in die Kommentare! Wer steigt denn diese Saison um auf einen neuen Schläger oder neue Saite? Wir sind interessiert!